Sachsen-Anhalt

Michael Aust und Michael Schwinning

(T)Raum(Zeit)

Eigenproduktion

Geschwister-Scholl-Gymnasium Sangerhausen

Theatergruppe DRAMS n´ ROSES

Spielleitung: Gabriele Horn

LISA, 45 Min.

Muss immer einer draußen bleiben?

Mit Einar Schleef im Aufzug und zum Theatersaal! Natürlich nicht persönlich, sondern in Form von ausgehängten Zitaten und Hinweisen sowie einer Ausstellung zu dem bekannten Theatermacher im Foyer. Den Zuschauer in dieser Weise auf die Aufführung vorzubereiten, erweitert noch vor Beginn des Stückes den Theaterraum im Sinne einer atmosphärischen und informativen Einstimmung auf das Stück.

Die Aufführung selbst beschäftigt sich dann nur sehr indirekt mit dieser Theaterikone, einem innovativen, genialen, öffentlichkeitsscheuen, auch autistischen Regisseur, der aus dem Heimatort der Gruppe stammt. Biografie und Recherchen zu seiner Person waren lediglich eine Art Inspirationsquelle für die Szenen, die sich eher im Sinne von biografischem Theater mit den alltäglichen Lebensräumen der Schüler*innen auseinandersetzen. Sie zeigen in der weitestgehend choreografisch und pantomimisch angelegten Aufführung zum Beispiel, wo sie gerne sind und was sie dort bevorzugt tun oder reflektieren über die Tatsache von Insidern und Outsidern.

Schon während des Einlasses sitzen und agieren auf der Arena-Spielfläche im großen Saal der Lehrerfortbildungsstelle schwarz gekleidete Spieler*innen und markieren um sich verschiedene Grundrisse mit buntem Klebeband. Es entsteht je ein persönlicher Raum für jeden einzelnen. Da die Spielfläche nicht erhöht ist, ist dieses Geschehen in den hinteren Reihen für den Zuschauer nur schwer direkt zu sehen.

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Mit einer Schülerin am Flügel, es wird im Prinzip durchgehend live musiziert, die ein Motiv aus dem Film Amelie in Schleife spielt, beginnt die Collage, deren erstes Bild wohl die Überschrift Alltag und Wohlfühlräume tragen müsste. Zunächst vereinzelt, später dann alle gemeinsam, zeigen die Spieler*innen innerhalb ihrer Begrenzungen im freien Wechsel Bewegungsloops, die auf alltägliche Beschäftigungen hinweisen. Der Wechsel des Zusammenspiels einiger, während sich andere nicht beteiligen, verdeutlicht, dass Menschen immer mit anderen parallel leben und agieren. Nachdem die Musik abgebrochen ist, gibt es noch (biografische oder Schleefsche?) knappe Erklärungen zu den eher banalen Tätigkeiten.

Eine neue Melodie setzt ein. Je zwei Mitglieder der Spielgruppe erheben sich. Sie laufen zwischen den aufgeklebten Umrissen umher und zeigen verschiedene Begegnungsarten, die für vielfältige Formen von Kontakten unter Menschen stehen können, friedliche und versöhnende, streitende und liebende, informative und unterhaltende. Immer wieder einmal bleibt dabei ein Spieler erkennbar ohne Kontakt. Um zueinander kommen zu können, öffnen die Spieler*innen ihren „Raum“, indem sie einen Teil des Bandes zur Seite kleben. Ob bewusst oder unbewusst entstehen so auch Brücken zwischen den Zellen.

Masken machen Masse

So gleitet die Aufführung in das zweite große Thema hinein, die Frage nach In- und Außenseitern. Dazu stehen zunächst einzelne Spieler*innen auf und rezitieren Texte, die vom Verlorenheitsgefühl in der Welt sprechen, vom Wechsel aus der „Pampa“ in die Großstadt oder vom Gefühl, etwas Besonderes zu sein, das Ruhm erlangen kann. Diese könnten durchaus der Schleefschen Biografie entlehnt sein. Das Thema des Außenseiters wechselt noch einmal die Form, als alle mit einer Maske weiterspielen, auch marschieren und dabei einen Kleinen ohne Maske oder einen mit einem zugeklebten Mund ignorieren.

Erst die letzte Szene löst den bis dahin dominierenden Gruppenzwang auf. Einzelne setzen der Gleichheit ihre Individualität entgegen. Sie lösen sich aus der Gruppe, werfen die Maske weg, gehen in individuelle Handlungen über und andere folgen ihrem Beispiel. Einzelne Grüppchen bleiben.

Die Aufführung bleibt über die weiteste Strecke klar und überschaubar in bekannten choreografischen Formen und Bildern. Jede einzelne Szene wird lange ausgespielt, gefühlt bis jeder der vielen Akteure einmal im Einsatz war. Erst am Ende wird es in der Individualisierung chaotischer. Die musikalische Untermalung durch Klavier und Cajon ist schülernah und eher atmosphärisch wirksam. Die bekannten Melodien setzen Verweise, die wohl nicht aus dem Inhalt des Stücks entwickelt sind. Und dann sind da kurze Highlights, wie das wunderbare Schleef-Zitat: „Wenn ich meine Hose falsch herum anziehe, hat diese dann die Welt an, nicht ich?"

Die Nutzung der Arena-Bühne schafft eine große Nähe des Zuschauers zu den Spieler*innen auf der gleichen Ebene, was aktiv nicht genutzt wird, etwa um Zuschauer direkt anzusprechen oder anzuspielen. Dem Betrachter öffnen sich aber so ungewohnte und für die Aufführung unplanbare Perspektiven auf die Gruppe. Die Aufführenden entsprechen in ihrem Verhalten diesen Gegebenheiten und besitzen erkennbar ein Bewusstsein, von allen Seiten beobachtet zu sein. Da es um eine öffentliche Person wie Einar Schleef geht, ist die Entscheidung für diese Bühnenform sinnvoll und absolut nachvollziehbar.

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