Thüringen

Michael Aust und Michael Schwinning

Thincs

Eigenproduktion

Staatliches Gymnasium 7 „Albert Schweitzer“, Erfurt

Theatergruppe Wolfsrudel

Spielleitung: Heiko Wolf

Steintor Varieté, 40 Min.

Ob ein Ding Sinn macht

Sie reißen nicht ab, die Adaptionen von Janne Tellers pseudophilosophischer Erzählung über die Bedeutung von allem und Nichts. Beim diesjährigen SDL kam eine weitere Version auf die Bühne und zeigte einen selbstbewussten Zugang zu diesem Stoff. Die Gruppe führte in einem gedoppelten Format nur die Auseinandersetzung um Dinge und ihre Bedeutung vor Augen und fand so zu einem folgerichtigen Schluss.

Mit einem nervigen Pfeifton startet die Aufführung im Saal des Varieté-Theaters. Sofort steht die mehrfach wiederholte Aussage „Nichts hat Bedeutung“ und der reduzierte Romananfang chorisch im Raum. Die Spieler in winterlicher Kostümierung nehmen währenddessen den Weg auf die Bühne durchs Publikum.

Als Gegenspieler der Gruppe hinterfragt Luca aus dem Pflaumenbaum die Relevanz von Schule, Karriere und überhaupt allem. Die Figur erscheint dazu auf der ersten Galerie des Theaters hinter den Sitzplätzen des Parketts und fordert von dort die Gruppe heraus. Spielorte werden damit in räumlicher Anordnung präsentiert. Ihre sonstigen Eigenarten werden im gesprochenen Text genannt. Es geht so nicht um reale Räume, sondern vielmehr um ein Gedankenspiel über die Bedeutung der Dinge an sich.

Dazu stapelt die Gruppe im Laufe der folgenden Szenen Bedeutungsgegenstände in Form von relativ gleichförmigen Holzwürfeln auf. Diese übernehmen die Stellvertretung für eine Lieblingspuppe, die Harry-Potter-Reihe, neue Nike-Schuhe, eine Adoptionsurkunde, eine Freundin, die verlassen wird und so weiter, bis nach einem Zwischenruf Lucas von der Galerie ein getötetes Lieblingstier die Reihe toppt. Hier werden Dinge aus der Vorlage vermischt mit Ersatzstücken, die wohl der Entscheidung der Gruppe entstammen. Das hat in der Auswahl etwas Beliebiges, zumal im schon erwähnten zweiten Teil ausschließlich Dinge aus der Vorlage verhandelt werden. Soll damit auf die Bedeutungslosigkeit der gewählten Sachen angespielt werden oder ist der erste Teil des Stücks der Versuch einer Aktualisierung durch die Spieler*innen?

Der Altar der Dinge ist aufgebaut und leuchtet

Als alle Kästen erst einmal aufgestapelt sind, setzt Nebel ein und verhüllt Bühne und Publikum. Die Raumwahrnehmung verschwimmt. Das erzeugt eine mystische Atmosphäre. In schwarze Morphsuites gekleidete Gestalten tragen jetzt leuchtende Gegenstände durch den Saal, die in konkreterer Form die vorher geopferten Dinge wiederholen. Wie auf einem Altar werden sie auf den Holzwürfeln abgestellt. Als der Stapel fertig ist, stehen die Spieler*innen über die Bühnenfläche verteilt und rezitieren lange Ausschnitte aus der Vorlage, um noch einmal die Bedeutung der Dinge bei Janne Teller zu beschreiben.

Der Zuschauer erlebt nach einer Zeit, dass die Figur Luca auf die Bühne wechselt. Er, eine Spieler*in, ist nicht bereit zu akzeptieren, dass die gegebenen Dinge Bedeutung gehabt haben, da sie doch einfach weggegeben wurden. Konsequent beseitigt er die ausgestellten Gegenstände aus dem Stapel. Angesichts der Feststellung der Leere, die jetzt zu greifen ist, da das Experiment um den Sinn von Dingen gescheitert scheint, stimmt über einem bedrohlichen Grundton die Gruppe das Lied vom Motherless Child an, umschließt Luca und drückt ihn zu Boden.

Konsequente Erkenntnis aus den Überlegungen über die Relativität von Dingen ist die damit sichtbar werdende Erkenntnis, dass allein das Leben wirklich Bedeutung hat, das nur unbedeutend wäre, wenn das Sterben leichtfiele. Illustrativ beginnt die Gruppe einen Discotanz in langsamen Bewegungen, bis sie unvermittelt fällt. Es bleibt der nervige Pfeifton vom Anfang im Raum stehen.

Die Spieler*innen aus Thüringen drängen dem Zuschauer keine Botschaft auf, stellen ihm stattdessen durch ihr konzentriertes Spiel, das ein gutes Gespür für intensive Atmosphären beweist, wertvolle Fragen.

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