Mecklenburg-Vorpommern

Michael Aust und Michael Schwinning

Moby Dick

Montessorischule Greifswald

Theatergruppe Jahrgang 9

Spielleitung: Christian Holm

Steintor Varieté, 60 Min.

Warum der Wal immer wieder auftaucht

Klar, die von der Küste spielen einen Stoff, der auf dem Meer spielt, dazu den Klassiker von Herman Melville Moby Dick. Das ist eine ernste Geschichte um die Rache eines Kapitän Ahab an einem weißen Wal, durch den er sein Bein verloren hat. Soweit das Vorwissen. Die Spielvorlage nach dem Roman stammt vom Spielleiter der Gruppe, der den jungen Spieler*innen diese Fassung auf den Leib geschrieben hat.

Und das Stück beginnt fast erwartungsgemäß stürmisch. Schnell füllt sich die leere Bühne des Varieté-Theaters. Ein Stimme aus dem Off kündigt einen plötzlichen Wirbelsturm an. Einen langen, sehr langen Moment lang passiert nichts. Dann: Das Licht blitzt. Dramatische Musik setzt laut ein. Lautes Rufen und Schreien begleitet die Aktionen. Die Spieler*innen in ihren Ringelshirts und Jeans werden vom Schiffsschwanken quer über die Bühne geworfen, treiben gemeinschaftlich von links nach rechts, von Reling zu Reling, bis alle erschöpft am Boden liegen. Aber da sind keine Schiffsplanken und da ist auch keine Reling. Mit hoher gemeinschaftlicher Präzision definieren die Bewegungen und das Verhalten der Gruppe auch in den folgenden Szenen die Räume.

In gleicher Weise entführen sie den Zuschauer zum Anheuern an die Kaimauern von Nantucket, nehmen ihn mit auf ein knarrendes Schiff, lassen den mysteriösen Kapitän Ahab erscheinen, zeigen, wie Deck geschrubbt wird, oder führen ein in die hohe Kunst des Walfangs bis zum bitteren Ende. Um den großen Erzählbogen spannen zu können, bedient sich die Aufführung eines bzw. wechselnder Erzähler*innen, die in der Rolle von Melville das Geschehen vom Bühnenrand aus mit Erzähltext vorantreiben. Sie sitzen dazu an einem geraden oder gekippten Tisch oder stehen auf ihm, während sie lesen, respektive schreiben.

Auftritt Seine Matjestät Kapitän Ahab

Soweit, so ernst. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit dieser Aufführung, die besonders wegen ihres Humors an den Stellen, die das Geschehen in die Gegenwart und in die Schülerrealität hinein durchbrechen, in Erinnerung bleibt. Das kann nur an einigen Beispielen gezeigt werden. Als eine lange Reihe von Spielern vor einem Tischchen ansteht, um in Nantucket auf der Pequod anzuheuern, wofür alle recht schüler- und lebensnahe Motive haben, sind viele bereit, auf Gehalt zu verzichten oder die Versorgung mit Schulspeise zu akzeptieren, aber dass es an Bord kein W-Lan geben soll, ist ein Grund, die Entscheidung für das Schiff noch einmal ernsthaft zu durchdenken. Das rastlose Klopfen des holzbeinigen Kapitäns beim nächtlichen Gehen über die Schiffsplanken des Schiffs wird von einem jugendlichen Matrosen eiskalt gekontert mit dem Hinweis auf nächtliche Ruhestörung und die Aufforderung, beim Spaziergang über Deck freundlichst eine Wollsocke über das Holzbein zu ziehen. Bevor man zuletzt gegen den Wal durch „Moby Dick und Moby Dünn" gehen wird, schweigt der Wind. Die Flaute gibt beste Gelegenheit, Schokoladenfantasien zu entwickeln. Allerdings kann das nur der Schiffskoch mit dem entsprechenden Schlüssel zu den Vorräten. Er sitzt mit seiner Schokolade und seinen schwadronierenden Fantasien an der vorderen Bühnenkante, während die anderen sehnsuchtsvoll, aber erfolglos über seine Schultern lugen. Als dann vor der entscheidenden Schlacht, auf die sich die Mannschaft in Form einer Fußballtaktikbesprechung vorbereitet, ein Wal sozusagen zur Übung gefangen wird, wundert es niemand, dass sein Inneres mit jeder Menge Plastikmüll gefüllt ist. So durchbricht die Inszenierung auf vielfältige Weise die alte Geschichte ins heute.

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All dies geschieht an Orten, die in choreographierter und pantomimischer Form dem Zuschauer vor Augen geführt werden. Formationen, die die Gruppe einnehmen, lassen den Grundriss eines Schiffskörpers vermuten. Das Schwanken des Schiffes erscheint durch entsprechende synchrone Bewegungen der Matrosen, die bis in die Sprache hinein dem Rhythmus des Schiffs, an einer Stelle einem eingespielten gleichmäßigen Schiffsknarren folgen. Walfangboote sind zu erkennen, in denen in Doppelreihen eine gleichmäßige Pullbewegung an imaginierten Rudern durchgeführt wird. Meereswellen sind Ergebnis von in der Gruppe durchlaufenden Beugungen der Arme. Wie hart das Reinigen des Schiffes die Matrosen ankommt, zeigt eine tänzerische Choreografie mit Besen im Tanzstil von Stomp, deren Rhythmus akustisch an eine Dampfmaschine erinnert. Gelegentlich übernehmen die Spieler*innen die Rolle des Wals und schlüpfen dazu in weiße Morphsuits. Sie ähneln damit dem ganz in Weiß gekleideten Ahab, einer Spielerin, deren Holzbein durch einen weißen Gummistiefel angedeutet wird und die außerdem in weißem Ledermantel und entsprechenden Handschuhen und Schal auftritt. Diese Role Reversal bricht immer wieder die harte Seemannswelt und führt sie in gewisser Weise ad absurdum.

Räume sind hier Ergebnis höchster Präzision einer bestens koordinierten und kooperierenden Gruppe. Der Humor würzt die im besten Sinne wasserfreie, aber dennoch spritzige Geschichte.

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