Projektbericht Bayern:

Kasimir und Karoline

Dominik Stoecker und Ludwig Bieger

Eigenproduktion frei nach Ödön von Horváth

Dientzenhofer-Gymnasium, Bamberg

Bayern

Oberstufentheatergruppe

Mitwirkende:

6 Schülerinnen und 7 Schüler

Spielleitung: Dominik Stoecker und Ludwig Bieger

Rahmen

Die Theatergruppe des staatlichen Dientzenhofer-Gymnasiums Bamberg startete mit der Bearbeitung von Ödön v. Horvaths Kasimir und Karoline im September 2017. Sie setzt sich zusammen aus elf Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen zehn und elf. Während die Schüler der in Bayern sogenannten ‚Qualifikationsstufe‘ je Halbjahr eine Note einbringen können, ist das Mitwirken für die Schüler der zehnten Jahrgangsstufe notentechnisch ertragslos. Unseren Theaterstücken liegt immer eine zweijährige Bearbeitungsabsicht zu Grunde, da die Durchdringung des Stücks durch die Schüler in dem sonst nur gegebenen Dreivierteljahr nicht zu leisten ist. Das von uns erwünschte ‚Freispielen‘, also der souveräne Umgang mit dem Stück, braucht schlicht Zeit. Geprobt wird bei uns jedes zweite Wochenende samstags und sonntags, jeweils zwei Stunden. Im April des ersten Jahres der Bearbeitung finden zwei oder drei Schulaufführungen statt, danach ruht der Probenprozess bis wir uns Mitte Juni an die Überarbeitung machen. Das dabei erreichte Niveau ermutigt uns im zweiten Jahr zur Bewerbung auf verschiedenen Theaterfestivals.

Das Projekt im Überblick

Die Auswahl des Stücks ist eine Setzung der Spielleitung. Wir halten die in ‚Kasimir und Karoline‘ verhandelte Problematik des im Zentrum stehenden Paares für immer noch relevant - versuchen hier doch zwei Personen vor dem Hintergrund ihrer großen Sehnsüchte zueinander zu finden und kriegen es nicht gebacken. Hinzu kommt die im Stück verhandelte Erschwernis durch die prekäre Situation, in der sich die Kasimir und Karoline als Angehörige einer sozial schwächeren Schicht befinden. Unserer Meinung nach können die Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu einem, ihnen in Sprache und Ausdruck fernen Text, erfahren, dass ihre Themen in der existierenden Literatur wieder auffindbar sind, zumal der Rückgriff auf eventuell von Schülern vorgeschlagenen Stücke mangels deren Literaturkenntnis zumeist ins Nichts führt.

Seit ca. zehn Jahren halten wir die Reduzierung des Textes auf wenige prägnante Inseln und das assoziierende Hinzutreten von Tanz- und Körpertheaterelementen für einen reizvollen Weg. Die Schüler verinnerlichen unserer Erfahrung nach dann die Konflikte und Haltungen der jeweiligen Rollen stärker, da eben Textmasse wegfällt. Zudem gestaltet sich der Probenprozess leichtgängiger, weil es leichter zu sein scheint, Schüler mithilfe des Körper zu einem glaubwürdigen Ausdruck der von ihnen gespielten Figur zu bringen als über die Sprache.

Wichtig war uns schließlich die Entkoppelung des Stücks von dem Zeitkolorit seines Entstehungsjahres, um es universeller zu machen, ebenso die Akzentverschiebung bei der Gestaltung der Männer- und Frauenrollen. Die Rahmenhandlung des Stücks (Oktoberfestbesuch der beiden mit all dem entsprechenden Hintergrundtrubel) sollte durch akzentuierte Impulse der Gruppe Eingang in unsere Fassung finden. Da unsere Stücke auf der Basis des Kollektivs funktionieren, sollten die Sprechrollen nicht immer bei denselben Schülern sein.

Ziel war es mit dieser dreimal im Stück auftretenden Choreographie Zäsuren der Auflockerung zu schaffen. Diese sollten dabei natürlich die Atmosphäre des Volksfestes - in Form des Walzers und der Ausrufer- einfangen und gleichzeitig hinreichend abstrakt sein. In einer ersten Fassung des Stückes war der Walzer noch naturalistischer, in der gemeinsamen Überarbeitung kamen wir dann zu diesem Ergebnis.

Projektverlauf

Die Proben gestalten sich in der ersten Phase nach einem wiederkehrenden Schema: Nach einem ca. halbstündigen Block Körperarbeit (Kontaktimprovisationen usw.) sollen die Schülerinnen und Schüler die für den Tag relevante Szene im gemeinsamen ‚Textsprech‘ üben. Der Text der Szene wird vorher gemeinsam gekürzt, sodass jeweils ungefähr eine halbe Seite zu sprechen ist. Insgesamt umfasst die gekürzte Version des Stücks sechs Seiten. Ausgangspunkt ist das chorische Sprechen im Sitzen (einander zu- oder auch abgewandt). Es folgt ein chorisches Sprechen in Bewegung (verschiedene Gangarten und Geschwindigkeiten, wobei die Schüler selber die ‚pace‘ vorgeben) und steigert sich zur dialogischen Form, in der der Text fließt, ohne dass fixe Sprecher vorher festgelegt werden.

Ziel dieses Ansatzes ist, dass alle Schüler den Text der jeweiligen Szene beherrschen und sich nach eigenem Zutrauen in deren Ablauf einklinken. Zugleich sollen sie ein Gespür für die Schwingung der Szene bekommen, um dann zu entsprechenden Bewegungen zu finden. Der Text solle dabei in ein selbstverständliches Sprechen überführt werden, dem das übliche Schülerpathos nicht mehr anhaftet. Unsere Absicht ist es, während der Textblöcke Tanz- und Körperelemente zu entwickeln, die aber keine direkte Bebilderung darstellen, sondern auf einer abstrakteren Ebene ansetzen. Ausgehend von der sich daraus kristallisierenden groben Bewegungs- und Geschwindigkeitsrichtung, arbeiten die Schüler dann in Kleingruppen an Bewegungslösungen für ein Thema, z.B. Erster Kontakt oder Geräuschkulisse auf dem Oktoberfest.

Die Grundstruktur des körperlichen Spieles ist dabei die, dass es fixe Knotenpunkte gibt, die definiert sind - also beispielsweise eine gemeinsame Choreographie. Dazwischen jedoch agieren die Schüler frei. Auf demselben Prinzip fußt auch die musikalische Untermalung durch das Schlagzeug. Geht es dementsprechend um das erste Treffen zweier Charaktere gespielt von neun Personen, die gleichzeitig auf der Bühne sind, so haben die Schüler ein Repertoire von sechs möglichen Paarbewegungen. Wen sie nun bei ihren Gängen treffen und welche Bewegung sie abrufen, soll jedes Mal in der Situation spontan entschieden werden. Dabei sollten die Schüler zugleich darauf achten, in welcher Geschwindigkeit die Gruppe agiert. Ist diese schnell/langsam/flüchtig in ihrem Bewegungstempo, sollen sie jeweils dagegen ‚spreißeln‘, damit das Bild nicht zu monochrom wird.

In dieser Szene laufen drei Signalebenen nebeneinander. Zum einen der Dialog des einen Eugen mit der vervielfältigten Karoline. Zum anderen deren gleichzeitig gezeigte Sehnsucht in Form des Bespielens der Stühle. Davon abgegrenzt ist wiederum die bisherige Kernkaroline in der Mitte der Szenerie, welche sich selbst ertastet. Und darüber gelegt eine Soundcollage, die eine Stimmung der Deprivation erzeugen sollte

Nachdem auf diese Weise die einzelnen Szenen erarbeitet wurden, geht es im nächsten Schritt um die Verzahnung derselben. Auf diese Weise ergibt sich im ersten Jahr eine noch stark vom Exoskelett der gefundenen Strukturen getragene Inszenierung. Diese gilt es dann im zweiten Jahr durch zusehends freier werdendes Spiel mit Leben zu füllen.

Highlights

Highlights stellen sich wohl immer dann ein, wenn die Schüler ins Offene aufbrechen und jeweils mit Glück irgendwo wieder anlanden. Jede Probe ist ein derartiger Aufbruch, und wenn nach Phasen der Irrungen belastbare Strukturen gefunden werden, löst das natürlich Euphorie bei uns aus. In der letzten Phase der Proben, einen Monat vor der Aufführung, kamen zwei Mal befreundete Spielleiter mit ihrer Gruppe vorbei, um ein erstes - durchaus bang erwartetes – Feedback zu geben. Zu merken, dass sich beispielsweise unsere Absicht der Vermittlung der Oktoberfestatmosphäre erfüllte, erleichterte die Gruppe natürlich sehr. Als wir im zweiten Jahr der Bearbeitung mit unserer Bewerbung die Zwischenauswahl für das Theatertreffen der Jugend (TTJ) erreichten und wir dementsprechend bei einer unserer Aufführungen eine Gruppe von fünf Juroren aus Berlin erwarten durften, waren alle stolz.

Exemplarische Unterrichtsstunde

1. Schritt – Bestandsaufnahme.

Was ist der Ist-Zustand, was ist das Ziel der Probe, was wollen wir gefunden/geschafft haben?

2. Schritt - Warm-up.

Verteilt im Raum stehend, wählt sich jede Spielerin/ jeder Spieler eine/n andere/n Schülerin/Schüler ohne deren Wissen aus und beginnt, wenn sie/er für sich selbst bereit ist und Spannung gefunden hat, den Raum zu erschließen. Eine Spielerin/ ein Spieler gibt dabei die Bewegungsgeschwindigkeit vor, ein anderer die Bewegungsart. Auf den Impuls einer Spielerin, eines Spielers hin mit dem Einwurf ‚Prinzessinnenspiel‘ versucht jede/jeder, den von ihr/ihm ausgewählten anderen Spieler in hoher Geschwindigkeit zu umrunden, wobei dieser ja wieder einen anderen umrundet. Da sich dabei leicht alle in der Mitte treffen, sollen dezentrale Punkte (Stuhl etc.) hinzukommen, die es außerdem zu umrunden gilt. In einer Steigerung fügt z.B. wieder eine andere Spielerin/ ein anderer Spieler diesem Prozess Schlüsselelemente bereits bestehender Choreographien hinzu - also auf das Stichwort ‚Hirsch‘ hin (aus dem ‚Lied‘ „Ich schieß den Hirsch im dunklen Forst…“) leitet sie/er möglichst bruchlos aus der Übung ‚Prinzessinnenspiel‘ in eine bestehende Choreographie des Stücks über.

3. Schritt - Stimme finden.

Die chorischen Elemente werden gemeinsam in verschiedenen Aufstellungen (mit Blickkontakt und ohne, d.h. einander zu- oder abgewandt) oder auch in Bewegung wiederholt. Variationen in Lautstärke, Betonung und Rhythmus werden von immer neu definierten Taktgebern initiiert.

4. Schritt – Formen finden.

Die zu bearbeitende Szene wird thematisiert. Wie sind die Emotionen der Personen gelagert? Welche Nähe /Distanz und damit welche Form der Raumnutzung ergibt sich dadurch? Wie ist die Tonlage der Szene (aufgeregt/ruhig/aggressiv), und was folgt daraus für die zu wählende Bewegungsgeschwindigkeit? Ausgehend von der vorherigen Szene stellt sich die Frage, ob z.B. bei einer Form, an der viele Spieler beteiligt waren, nun eine Fokussierung erfolgen sollte oder ob erneut eine große Zahl an Spielern die Bühne belebt. Wenn wir hierin eine grobe Orientierung gefunden haben, folgt die Erarbeitung von Vorschlägen/Entwürfen in Kleingruppen. Die Gruppen präsentieren ihr Ergebnis und es fällt die Entscheidung darüber, welche Richtung verfolgt wird.

Auch hier war unser Ziel die Gleichzeitigkeit von Schichten des Stückes, während Karoline und Kasimir einen Dialog über die erfahrene Enttäuschung führen, wird der Walzer der zuvor schon zweimal mit Musik getanzt wurde von einer Vierergruppe in der Mitte gleich einem Totentanz ausgeführt. In die Stille hinein zu hören ist lediglich das Rascheln der Kleider und die doch so harten Worte der beiden Protagonisten.

5. Schritt – Tagesfazit.

Einpflegen der neuen Sequenz in den bereits existierenden Stückverlauf und Überprüfung der Passung.

Das aus dem vorherigen Video verbliebene Paar baut sich immer wieder zur Tanzposition hin auf während Eugen und Karoline den Schlussdialog führen. Schließlich wird ein letztes Mal der Kreislerwalzer eingespielt und zu dem nun auch zu hörenden Text des Liedes, zerbröselt - noch einmal stellvertretend - auch dieser Beziehungsversuch.
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